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· Essay(1)/Essay(2)
Zählt man die aus pragmatischen Gründen in das Netz gestellten Texte, worunter auch die Vorliegenden fallen, nicht zur
Netzliteratur, Texte, die aufgrund relativ geringer Kosten, zur leichteren thematischen Einbindung, aus welchen konkreten Gründen auch immer am Bildschirm betrachtbar sind, bleiben relativ wenige Arbeiten übrig,
die Anderes, Neues, die Netzspezifisches erbracht haben.
Drei Funktionen können derzeit gegenüber herkömmlichen Schriftmedien in Betracht kommen:
(1) Disziplinübergreifende Ausrichtungen oder Weiterentwicklungen konkreter Poesie, welche die Vielfalt sinnlicher Reize und auch die künstlerischen Anforderungen an Produzenten und Rezipienten erhöhen.
Ein Beispiel einer disziplinübergreifenden Arbeit stammt von Claudia Klinger und ist betitelt mit · Orkus. Die Autorin lässt eine bildliche Arbeit mit aphoristischen Texten korrespondieren. Sie vergleicht das Eintauchen ins
und Leben im Internet mit dem Sterben und mit dem Verweilen in der mythisch verbürgten Unterwelt, Heimat der Schatten. Leser
können ihr hinabfolgen und Typen von Menschen entdecken, Figuren wie den Realitätsasylanten oder News-Junkie, die sich
dort im Dunkeln herumtreiben. Claudia Klinger bildet eine ästhetische Phänomenographie aus, die von Witz, aber auch von
Liebe zu den Menschen geprägt ist.
(2) Ein literarisches Interagieren, das den Prozess in das Zentrum der Betrachtung rückt und durchaus Zufallsfaktoren
ausgesetzt ist. Es handelt sich um Mitschreibprojekte. Als Beispiel sei das · Tage-Bau
Projekt angeführt, ein Online-Tagebuch, dessen Ergebnis auch als Printmedium vorliegt. Die Schwierigkeit, unterschiedliche Autoren in ein Textprojekt einzubinden, kann hinsichtlich der literarischen Qualität
von Resultaten arge Zweifel aufkommen lassen, als soziale Ereignisse sollten Mitschreibprojekte jedoch nicht unterschätzt werden.
Würde man den Akzent etwas anders legen, von Beschreibungen auf eine spielerische, theatrale Situation - wie es im
Improvisationstheater geschieht - durch ein Schreiben direkter und performativer Rede, könnten Interaktionsresultate vielleicht
dazugewinnen. Die Akteure wären nicht egoverhaftete Literaten, sondern sich in einem sozialen Zusammenhang produzierende Figuren.
(3) Schließlich die Nutzung von technisch alternativen Verknüpfungen bzw. Abläufen. Darunter fällt die in den USA entwickelte Hyperfiction mit literarischen Labyrinthen für unterschiedliche
Rezeptionswege, dazu gehören aber auch Konstrukte von eher technischem Aufwand, bei denen Zufallsoperatoren,
Speicher- und Suchkriterien eingesetzt werden. Ein Automat, der die aktuelle Uhrzeit als Kriterium für das Abspeichern eingebbarer Texte und als Suchkriterium für
die Textausgabe nutzt, hat Guido Grigat in das Netz gestellt: · dreiundzwanzigvierzig
- das kollektive Gedächtnis. Ähnlich wie bei Interaktionsprojekten werden die Besucher, wenn sie es möchten, an dem Projekt beteiligt: sie
können Texteingaben vollziehen. Im Unterschied zu jenen Projekten findet aber keine soziale Interaktion statt. Der Automat ist ein
öffentlicher Zettelkasten, der Notizen von Menschen aufnimmt und wieder ausspuckt. Es handelt sich um eine Installation, die zur
textlichen Nutzung einläd. Vielleicht ist der Anspruch, ein kollektives Gedächtnis per Automat zu errichten, zu ernsthaft gewählt. Sowohl im
Hinblick auf die Texte als auch auf die Technik würde dem Kasten ein Zwinkern nicht schlecht stehen.
· Essay(3)
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