Essay(1)
Netzliteratur und Schriftmedien (1-3) - Reinhard Matern -
Netzliteratur entstand mit den technischen Bedingungen und Möglichkeiten des Internet und entwickelt sich im Zuge der verfügbaren Technologien. Sie ist ein Ergebnis des Einsatzes von Techniken, aber nicht mit diesen identisch. Das erleichtert den Umgang: Niemand muss über die rechnergestützten Prozesse ein detailliertes Wissen haben, um Netzliteratur erfahren zu können. In Frage steht für Leser das jeweilige erzeugte Resultat. Die Differenz von Technik und literarischem Ergebnis kann im Kontext von Medienbegriffen deutlicher gemacht werden. Alltagssprachlich wird das Internet als ein neues Medium bezeichnet, u.a. im Unterschied zu Büchern. Konkretisiert man die Bezeichnung Internet als Medium anhand von korrespondierenden Alltagserfahrungen und fragt, was für Internetnutzer das Internet ist, dann handelt es sich um die sinnlich aufnehmbaren Seiten. Die Technik wird lediglich als Zugangs- oder Produktionsfaktor wahrgenommen, ist von dem, was als Medium gilt, abgegrenzt. Sprachlich derart zu verfahren, ist keineswegs unklug, nimmt man einen direkten Vergleich zu Büchern als Medien vor. Nicht die Druckvorstufe und auch nicht die Drucktechniken werden als Medien bezeichnet, sondern die sinnlich erfahrbaren Erzeugnisse dieser Techniken. Diskutiert man das Internet als Medium im Vergleich zu Büchern, dann entfällt sogar der Quellcode von aufrufbaren Seiten als Bestandteil der Medien, da dieser lediglich zu den produktionstechnischen Bedingungen der Resultate gehört. Der Quellcode ist ein Faktor für die Satzerstellung und bei der Simulation des Drucks. Auch technische Funktionen des Code, die darüber hinausweisen, so z.B. Verlinkungen sichern, Zufallsoperationen und Suchfunktionen erfüllen oder Zugriffe auf Datenbanken erlauben, sind lediglich Operationen, die sich im Hintergrund der sichtbaren Navigation und ihrer Resultate vollziehen. Bestandteil der Medien wird Code erst dann, wenn er thematisiert und in verarbeiteter Weise präsentiert wird. Doch für wen könnte eine Seite mit Code als literarischem Gegenstand spannend sein. Er ist doch nicht einmal Material im Vergleich mit Sprache, Bild, Klang. Angemessen wird sein, nicht die jeweiligen Gegenstandsbereiche zu verwechseln. Eine von Technik dominierte Diskussion über Netzliteratur würde den Setzer, den Drucker zum Schriftsteller und Literaten machen. Man würde ein mögliches Resultat technischer Anstrengungen aus dem Blick verlieren: Die Präsentation von Literatur, Sprache. In einem solchen Fall wäre es vermutlich angemessener, die literarischen Ambitionen fallen zu lassen, sich ausschließlich auf die Datentechnik zu konzentrieren. Eventuell ist dieser Tätigkeitsbereich schon herausfordernd genug. Wird hingegen die Technik lediglich als ein Mittel zur Produktion von Medien eingesetzt, wobei es aus der Sicht eines an Literatur interessierten Rezipienten gleichgültig ist, ob es sich um einen Literaten, einen beauftragten Datentechniker oder einem Mitglied aus einem Produktionsteam handelt, der sich dafür verantwortlich zeichnet, dann ergibt sich die Möglichkeit, etwas präsentieren zu können, dem Publikum als auch den Kritikern. |
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